Gedichte von Heinrich Capler von Oedheim genannt Bautz

Bild: Gemeindearchiv Oedheim / Wikimedia Commons

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Heinrich Capler von Oedheim genannt Bautz besuchte gemeinsam mit Karl Doll das Ulmer Gymnasium. Seit diesen Tagen verband die beiden nicht nur eine lebenslange Freundschaft, sie teilten zudem ihre Begeisterung für die Lyrik. Wie Doll veröffentlichte auch Bautz eigene Dichtungen, teilweise in den gleichen Publikationen, etwa der von Georg Jäger herausgegebenen „Schwäbischen Lieder-Chronik“ und dem „Schwäbischen Dichterbuch“ von Carl Weitbrecht und Eduard Paulus. Er schrieb meist unter dem Pseudonym Heinrich von Oedheim. Seine herausragenden Arbeiten waren Übertragungen französischer Lyrik, diese machen auch einen Großteil seines Werks aus. Sein einziges eigenes Buch, „Ein Strauß Französischer Liederdichtung“, erschien 1887 bei Greiner & Pfeiffer in Stuttgart.

Er stammte aus dem alten Geschlecht der Capler von Oedheim, die im gleichnamigen Ort bereits seit dem 12. Jahrhundert belegt sind. Der Namenszusatz „genannt Bautz“ taucht erstmals um 1260 auf. Stammsitz des im 20. Jahrhundert erloschenen Geschlechts war das Schloss Oedheim, das auch „Bautzenschloss“ genannt wird. [1] Dort wurde Heinrich am 26. April 1835 geboren. 1838 erhielt sein Vater eine Anstellung als Revierförster in Söflingen bei Ulm, sodass die Familie dorthin zog. [2]

Nach der gemeinsamen Schulzeit mit Doll studierte Heinrich Capler von Oedheim genannt Bautz zunächst Rechtswissenschaften und Geschichte in Tübingen, ab 1859 war er an der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim. Nach der Ausbildung kümmerte er sich um die Verwaltung der beträchtlichen Besitztümer, die er von seinem 1868 verstorbenen Vater geerbt hatte. Er lebte zeitweise in Oedheim, Kochendorf und Bad Cannstatt und war zwei Mal verheiratet: 1866 heiratete er Martha Freiin von Breuning, mit der er drei Töchter und einen Sohn hatte. Sie starb 1874. Schon 1875 verehelichte er sich mit ihrer älteren Schwester Camilla. Aus dieser Ehe ging ein weiterer Sohn hervor. [3] Von 1889 bis 1895 war Bautz, wie man ihn in seinem Freundeskreis nannte, als Vertreter der Ritterschaft des Neckarkreises Abgeordneter in der Zweiten Kammer der Württembergischen Landstände. Er verstarb am 25. Mai 1914 auf Schloss Brandenberg bei Illertissen.

Zwei Dichtungen von Karl Doll sind seinem Freund Bautz gewidmet: „Der Capler von Oedheim“ in den „Schwäbischen Balladen“ geht auf eine Familientradition der Capler ein, die die Entstehung des Namens erklärt, und das Auftaktgedicht in den Horaz’schen „Oden und Epoden“ ist eine Widmung an Bautz, „den eleganten Interpreten französischer Liederdichtung“. [4]

Hier nun eine Auswahl an Gedichten aus der Feder von Heinrich Capler von Oedheim genannt Bautz. Das erste erschien in Georg Jägers „Schwäbischer Lieder-Chronik“:

AD ACTA.

Als jüngsthin ich desselben Weges fuhr zur Stadt,
(Mich ruft dahin allmonatlicher Schöffendienst)
Wie glänzte noch in jugendlichem Grün die Flur,
Die jetzt vergilbt, erstorben liegt, im ersten Frost!
Wie stand in vollem Schmucke noch der Wald, der heut
Den Winden willig überläßt schon Blatt um Blatt!
Ach, immer wird elegisch mir das Herz berührt,
So oft es auch, das alte Stück, sich wiederholt.
Auch kam ich heute zum Gericht ganz mild gestimmt,
Wie kaum es sich mit strengem Themisdienst verträgt;
Und doch vom Regen in die Traufe kam ich da,
Wo alles sonst gedeihen mag, nur Rührung nicht!
Denn was – im obern Fache der Registratur
Par inter pares zwischen Acten eingereiht,
Bedeckt mit fingerdickem Staub – was lagert dort?
Ein Strohhut scheint es, breitgerandet, wetterbraun,
Zerknittert mit verschoss’nem Band! fürwahr, er ist’s,
Des reisigen Oberrichters luftiger Fahrtgenoß!
Sei’s daß er „trinkbar“ auszog zum Juristentag,
Sei’s daß in fliegendem Rock mit Siebenmeilenschritt
Er zustrebt seinem Lieblingsziel, dem Hochgebirg –
Bei welchem Feldzug, Alter, warst du nicht dabei!
Und jetzt, zum Danke, liegst du schnöd hier abgedankt?
Du, der beschüzt vor Sonnenstich sein dichtend Haupt,
Wenn im Marschiren feurig er skandiert ein Lied;
Auch duldsam aushielt manchen derben Regenguß,
So beim Veltliner er vergaß der Wolkenschau –
Du ruhst du, vom prosaischen Filz verdrängt,
Bei Jenen, die von jeher du gehaßt, geflohn,
Und träumst vielleicht, von eklem Ofendunst umqualmt,
Von deiner jüngsten Sommerfrische, da dein Freund
Im Hauch gekühlter Seeluft flattern ließ dein Band;
Da auf beglänzter Alpentrift, voll Heerd’geläut’,
Er dich geschwenkt zum Gruße ferner Jodlerin,
Bis du zuletzt, am Gletscher, wardst mit Edelweiß
Geschmückt, zur Heimfahrt, und mit glüh’ndem Almenrausch.
Armer Gesell, ach zweifeln kann ich länger nicht,
Daß eingekehrt in bittrem Ernst der Winter sei,
Seit – alter Wanderfreude sonniges Symbol –
Ich dich, Getreusten, so gelegt ad acta sah.

Aus: Georg Jäger (Hrsg.): Schwäbische Lieder-Chronik. Jahrbuch deutscher Lieder-Dichtung in Schwaben. 1875–1885. II. Stuttgart. S. 11.
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Am „Schwäbischen Dichterbuch“ war er unter dem abweichenden Namen Heinrich von Bautz mit „8 Schattenrissen gesellschaftlicher Charaktere“ [5], so das „Neue Tagblatt“ in einer Rezension, beteiligt. Drei dieser Sonette seien hier angeführt:

Der Gesellige.

Noch treibt der Geck in ihm den tollsten Spuk,
Noch will er sich und uns ein Jüngling scheinen;
Von Weibern tiefer Kenner, wie von Weinen,
Prahlt er mit manchem großen Tuck und Schluck.

Und wie versteht er fremder Federn Schmuck
Mit selbstgewachsnen künstlerisch zu einen!
Den Mangel an Gefühl, an eignem Meinen
So gut zu bergen unter äußrem Stuck!

Taugt auch als Freund, als Einzahl nichts der Mann,
An seinem Platze doch im Plural ist er,
Du findest keinen flotteren Kumpan.

Und stockt einmal das Wort, so zieht mit List er
An seiner Orgel sämmtliche Register,
Da fängt von selbst sie Witze spielen an.

Aus: Eduard Paulus und Carl Weitbrecht (Hrsg.): Schwäbisches Dichterbuch. Stuttgart 1883. S. 7.
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Der Problematische.

Nicht weiß ich, wie ich in der Kürze soll
Dies Wesen schildern, dem Chamäleon gleich;
Ein Bild, an schärfsten Gegensätzen reich,
Ein Stück, gesetzt zugleich in Dur und Moll.

Phantastisch, ein Gefühlsmensch jeder Zoll,
Und doch berechnender Verstand zugleich;
Rasch heiß und kühl; zu hart oft, oft zu weich;
Bald froh, bald düster, immer launenvoll.

Bestimmt stets von der „Stimmung“ ganz und gar;
Verkannt auch da, wo er’s zum besten meint,
Verzehrt er sich im Wollen unfruchtbar.

Wo jedem Vorzug sich ein Mangel eint
Und Null zuletzt sich stellt als Fazit dar:
Selbstmörder wird er, oder Menschenfeind.

Aus: Eduard Paulus und Carl Weitbrecht (Hrsg.): Schwäbisches Dichterbuch. Stuttgart 1883. S. 8.
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Der Stille.

Wenn Scherze, gleich Raketen mit Geknatter,
Wenn Stichelreden neckisch ihn umsprühn,
Wenn alle ringsum witzig sich bemühn,
Er wird nur stiller stets, verlegner, matter.

Doch naht das Weibliche sich dem Gevatter,
Wie plötzlich diese fahlen Wangen glühn!
Dies zage Auge blickt auf einmal kühn,
Die so bewölkte Stirn wird heller, glatter.

Dies Lächeln, zuckend durch die stumme Schwüle,
Hellt einen Abgrund jäher Leidenschaft,
Des Sturms gewärtig, der empor sie wühle.

So gleicht, in seines Wesens linkischer Hast,
Er Schaumwein, der, in Eis gestellt zur Kühle,
Zu toll’rem Brausen nur verspart die Kraft.

Aus: Eduard Paulus und Carl Weitbrecht (Hrsg.): Schwäbisches Dichterbuch. Stuttgart 1883. S. 12.
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Sein 1887 erschienener Band „Ein Strauß Französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim“ umfasst auf über 200 Seiten 114 Gedichte von 57 Dichtern, von dem mittelalterlichen Dichter Eustache Deschamps bis zu seinem Zeitgenossen Alphonse Daudet. Hier eine kleine Auswahl:

Pierre den Ronsard
1524–1585.

Auf einen Weißdorn.

Schöner Weißdorn, frisch und grün!
Schneeig blühn
Über’m Bach dort deine Wipfel.
Mit der Ranken Schmuck umflicht
Epheu dicht
Deinen Stamm bis hoch zum Gipfel.

Unter dem Gewurzel hat
Lagerstatt
Schwarzer Ämsen Brut genommen;
Und aus jedem Hohl und Spalt
Werden bald
Bienenschwärme summend kommen.

Will mit süßem Liederschall
Nachtigall
Sich im Lenz dem Liebchen gatten:
Wo zuerst sie glücklich war –
Jahr und Jahr
Wählt sie deiner Zweige Schatten.

Dort, aus Gräsern, fein und fest,
Hat ihr Nest
Sie versteckt schon aufgehangen,
Wo der Vöglein junge Brut,
Frohgemut,
Ich für meine werde fangen.

Daure, blühe wonnesam
Edler Stamm!
Trotze standhaft allen Wettern!
Axt verschone dich und Wurm,
Und kein Sturm
Soll dich je zu Boden schmettern!

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 16–17.
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Jean Desmarets de Saint-Sorlin
1595–1676.

An Fräulein v. Scudery.
Das Veilchen.

Bescheiden ist mein Kleid und jeden Prunkes baar;
Bescheiden bück ich mich, im Gras versteckt, zur Erden:
Doch säh ich jemals mich in deinem Lockenhaar,
Die stolzeste fürwahr der Blumen möchte’ ich werden.

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 23.
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Evariste der Parny
1753–1814.

Auf den Tod eines Mädchens.

Entwachsen kaum den Kinderjahren
Mit ihrem Blick, dem unschuldklaren,
Ein Amorettenangesicht!
Noch einige Monde, einige Tage
Geduld – und wie die Ros’ im Hage
Ihr keusches Herz die Knospe bricht!
Doch ihrer Wangen lieblich Blühn
Es sollte bald im Tod verglühn:
Dem Himmel, ohne Widerstreben,
Gab sie zurück das reine Leben,
Und sanft, unmerklich schlief sie ein.
Es war, als ob ein Lächeln schwinde,
Als ob im leisen Abendwinde
Sterb’ eines Vogels Sang im Hain.

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 48.
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Charles Nodier
geb. 1780, † 1844.

Rückkehr in die Heimat.

Dich mein Dörfchen wiederschauen
Werd’ ich, das so teuer mir,
Schroffe Höh’n und stille Auen,
Wilder Röslein Heckenzier!
   Süßer Frieden,
   Mir beschieden
   Noch hienieden,
Winkt nach langer Täuschung hier.

Auch das Kreuz dort werd’ ich sehen,
Ragend über’m Felsgestein:
Immergrün und wilde Schlehen
Blühen kärglich hier allein.
   Moos’ge Pfühle!
   In die Kühle
   Aus der Schwüle
Ladet uns der Fichtenhain.

Wiederschauen auch die Halde
Wird’ ich, wo die Amsel singt,
Und die Lichtung dort im Walde,
Der das Bächlein froh entspringt,
   Dessen schnelle,
   Frisch und helle
   Rieselwelle
Labung durst’gen Wiesen bringt.

Hier der alten Laube Dunkel,
Wo herein in Schwärmen, dicht,
Mit dem Kleid voll Goldgefunkel
Nächtlich der Leuchtkäfer bricht:
   Welch’ ein Glühen!
   Wechselnd blühen
   Und versprühen
Blumen in demant’nem Licht.

Aber nimmer seh’ ich wieder
Lieschen, dort aus jenem Haus
Sonntags, Straßen auf und nieder
Aeugeln nach den Burschen aus.
   Bis entdecket
   Und genecket,
   Sie, erschrecket,
Läßt den Winden ihren Strauß.

Aber nimmer seh’ ich Dorchen,
Die den ganzen Morgen sang;
Aber nimmer seh’ ich Lorchen
Mit dem Blick so scheu und bang;
   Klementinchen,
   Wilhelminchen
   Und Christinchen,
Das im Trio tollt’ und sprang!

Sonne nur, die ewig Eine,
Wandelnd ihre alte Spur,
Strahlt in ungebrochnem Scheine
Aus dem himmlichen Azur:
   Was verschwunden,
   Kaum empfunden,
   Sind die Stunden
Reiner Jugendfreude nur!

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 53–55.
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Alfred de Musset
geb. 1810, gest. 1857.

Marie.

Wie wann vom Winterschlaf, vom langen,
Erweckt, des Lenzes Lieblingskind
Das erste Lüftchen weich und lind
Lächelnd empfängt in frohem Bangen,

Und – öffnet sich dem Licht geschwind
Der kleine Kelch in duft’gem Prangen –
Ihr Stengel, schauernd vor Verlangen,
Bis in die Wurzeln bebt gelind:

So, wann Marie, verschämt und bange,
Die Lippen öffnet zum Gesange
Und fromm die blauen Augen hebt,

Scheint zitternd auf des Wohllauts Schwingen
Die Seele himmelwärts zu dringen,
Von Ahnungsschauern ganz durchbebt.

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 115.
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Theophile Gautier
geb. zu Tarbes 1811, gest. 1872.

Die steinerne Bank.

Im tiefsten Park versteckt, aus grauem Steine,
Steht eine Bank, verlassen und bemoost;
Die Schwermut selbst sitzt hier im Dämmerscheine,
Verlorner Lieb’ nachsinnend ohne Trost,
Erinnrung säuselt hier aus jedem Baum,
Von Glück erzählend, das so schwer zu büßen;
Gleich einer Thräne sinkt, als wie im Traum,
Ein welkes Blatt zu deinen Füßen. –

Kam hierher Arm in Arm vordem nicht immer
Dem Späheraug’ entflieh’nd das schmucke Paar
Und scheuchte von der Bank den Mondenschimmer,
Den blassen, der dort süß entschlummert war?
Was sie sich schwuren, Sie hat es vergessen,
Er denkt daran! Zum alten Stelldichein,
Wer mag des Armen Schmerz ermessen!
Kommt er noch immer – doch allein.

Und wer zu lesen weiß im Seelenlosen,
Sieht, wie von Sehnsucht, diese Bank bewegt,
Nach jedem Einst, – den Küssen, jenen Rosen,
Als Liebesgruß in ihre Bucht gelegt.
Jetzt schlingt um sie der Epheu seine Triebe;
Das Moos ist gelb, verweht der Blumenduft:
Ihr morscher Stein gemahnet an die Gruft,
Darin begraben eine Liebe …..

Aus: Ein Strauß französischer Liederdichtung. Aus fünf Jahrhunderten ausgewählt und übertragen von Heinrich von Oedheim. Stuttgart 1887. S. 132–133.
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Anmerkungen

[1] Vgl. Hans-Dieter Fischer: Das Geschlecht der Capler von Oedheim, genannt Bautz. In: Hans-Dieter Fischer, Josef Heim und Ralph Walter: Bautzen-Schloss Oedheim. Geschichte und Geschichten. Oedheim 1997. S. 10–73, hier S. 11. [zurück]

[2] Vgl. ebd. S. 67 [zurück]

[3] Vgl. ebd. S. 69 [zurück]

[4] Horaz: Lyrische Gedichte. Oden und Epoden. Unter Anlehnung an die antiken Versformen übertragen von Karl Doll. München 1914. S. III. [zurück]

[5] Neues Tagblatt vom 9. Dezember 1883. [zurück]

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